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Der politische Aspekt des Reggae

Die Länder der Dritten Welt haben eine hohe Analphabetenquote. Deshalb ist der Rundfunk eine wichtige Informationsquelle der Bevölkerung. Da fast täglich in Jamaica neue Reggae-Platten mit Texten zu aktuellen Themen gepreßt und darin die Geschehnisse des Tages kritisch analysiert und kommentiert werden, fungiert der Reggae beinahe besser als eine Tageszeitung. Die Westinder hören die Titel mehrmals am Tag, reden und reflektieren über sie.

Neben zwischenmenschlichen Beziehungen, Kultur und Ökonomie wird auch die Politik im Reggae thematisiert. Die Texte versuchen die Zuhörer dazu zu bewegen, sich gegen ihre scheinbar aussichtslose Situation aufzulehnen und ihnen die Gründe für diese Lage aufzuzeigen. Die wirtschaftliche Situation der aus der Unterschicht kommenden Jamaicaner wird von der Politik nämlich bedeutend beeinflußt. Außerdem hatten und haben die Schwarzen - besonders in Grossbritannien - unter der Benachteiligung in der Gesellschaft sehr zu leiden.

Einen Beweis, in welchem Maße der Reggae im politischen Alltag wirkt und auch in Interessen der Außenpolitik eine Rolle spielt, liefern das versuchte Attentat auf Bob Marley 1976, weiches wahrscheinlich im Auftrag des CIA geschah und der noch ungeklärte Mord an dem weitaus militanteren und aggressiveren Peter Tosh im Jahre 1987. Das "One-love-Konzert" vom 22. April 1978 im Nationalstadion in Kingstown ist wohl das deutlichste Beispiel für die Wirkung des Reggae in der politischen Praxis:

Jamaica hatte sich in einem bürgerkriegsähnlichen Zustand befunden: "Eine Bande plünderte und mordete im Namen von Manleys People National Party, welche im Verdacht stand, intime Kontakte zu Kuba zu unterhalten. Eine andere Bande tat das gleiche für die oppositionelle Jamaican Labour Party Seagas, welche CIA-Umtriebe auf Jamaica unterstützt haben soll." Um dem Terror ein Ende zu bereiten, beschlossen die führenden Politiker einen Friedensschluß, der von einem Konzert besiegelt werden sollte. Bob Marley wurde dringlich gebeten, aufzutreten.

Bei seinem Auftritt reichten sich Oppositionsführer Seaga und Premierminister Manley unter Marleys Anleitung die Hände. Danach gingen tatsächlich die Gewalttätigkeiten zurück. Bob Marley bekam den Friedensnobelpreis der Dritten Welt.



Schlußbetrachtung

Der Reggae entwickelte im Laufe der zwei Jahrzehnte nach dem Tode Bob Marleys neue musikalische Richtungen. Durch Verwendung neuer technischer Möglichkeiten, wie z.B. Synthesizer, Sequencer, programmierbare Trommelmaschinen etc., entstand der sogenannte Dance-Hall-Style, welcher von Shabba Ranks, Ninjaman u.a. gespielt wird, häufig mit Texten über Frauen, Liebe und Gewalt. Hier ist der Reggae wirklich Ausdruck karibischer Lebensfreude. Der Pop-Style wird von Elementen der PopMusik beeinflußt und ist vertreten bei Ziggy Marley und UB40. Einen weiteren Stil, den Lover's Rock, pflegen z.B. Maxi Priest und Garnet Silk. Auch in England entstand ein neuer Reggae-Stil, der häufig mit Rockelementen durchsetzt ist und besonders Probleme der Jugendlichen Grossbritanniens aufgreift, wie z.B. bei den Gruppen "Aswad" und "Steel Pulse". Die neuesten Stile sind Raggamuff in, welcher sich an den amerikanischen Hip-Hop anlehnt und durch seinen speziellen Gesang an das Toasting der DubMusic erinnert, und der in GB entstandene, sehr schnelle Jungle, eine Verbindung aus Breakbeat und dem Raggamuff in.

Neben den neuen Stilen jedoch erfährt der Roots-Reggae, die ursprünglichste Form des Reggae, von dem sich die anderen Stile ableiten und den Bob Marley bekannt gemacht hat, eine Wiederentdeckung. Sänger wie Natty Dread und Lucky Dube beziehen sich nicht nur musikalisch, sondern auch in ihren Texten auf Bob Marley und greifen wieder Rastafari Themen auf.

In der Geschichte des Reggae kann man Jamaicas politische, religiöse und geistige Entwicklung reflektiert sehen. Hier zeigt sich, daß sich nicht jede musikalische Richtung der "U-Musik" als gehaltlos aufgefasst und als "plätschernde Hintergrundsmusik" abgetan werden kann.
 

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